Das Sündenbockphänomen: Was es mit Schuldzuweisungen in Unternehmen auf sich hat und weshalb Führungskräfte oftmals die Leidtragenden sind

Vielleicht ist es die sengende Hitze des frühen Nachmittags, die dem kleinen Pulk von Anwesenden Schweißperlen aufs Gesicht getrieben hat. Vielleicht ist es aber auch der heutige Anlass, der ein gewisses Ausmaß an Staunässe auf Stirn- und Handflächen provoziert haben könnte. Sicher ist das nicht. Sicher ist nur eines: Heute gibt es einen zwischen die Hörner. Und zwar so richtig.

Denn da steht er nun. Der Sündenbock. Als Schuldiger auserkoren und so schwer mit den Sünden des Volkes beladen, dass es eigentlich beachtlich scheint, dass er unter dieser Last bisher noch nicht zusammengebrochen ist. Nervös trippelt der Sündenbock von einem Bein aufs andere. Eine der Anwesenden dreht sich zu ihrem Nebenmann um und flüstert hinter vorgehaltener Hand „Wenn man den jetzt in die Wüste jagt, sind wir unsere Sorgen endlich los.“ Der Nebenmann ergänzt mit leicht süffisantem Unterton: „Das wird auch Zeit.“

Ein Mann tritt aus dem Pulk hervor, räuspert sich und sagt: „So Herr Dorper. Dann wünsche ich Ihnen im Namen der gesamten Belegschaft für Ihre weitere Zukunft alles Gute. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Die Zusammenarbeit mit Ihnen haben sich wohl einige von uns hier etwas anders vorgestellt. Ich weiß, dass Sie das Team durch eine schwierige Zeit führen mussten – wobei FÜHREN für Ihr Tun vielleicht auch ein zu großes Wort ist – und kann Sie daher an dieser Stelle nur zu Ihrer Entscheidung beglückwünschen, das Unternehmen mit sofortiger Wirkung zu verlassen.“ Dr. Peter Priester, Unternehmer des Jahres 2006, 2007 und 2011 rafft nicht nur sein schwarzes Jackett zurecht, sondern auch den letzten Funken Anstand zusammen, reicht Shaun Dorper zum Abschied die Hand und weist mit der freien linken zum Tor des Betriebsgeländes der Maschbau GmbH.

Das wars. Dorper dackelt von dannen. Belegschaft lacht sich ins Fäustchen. Probleme bleiben bestehen. Unternehmen auch – vorerst, das ist aber nicht gesichert.

So könnte die Kurzfassung lauten. Da sich das Sündenbockphänomen und das damit verbundene Spiel der Suche nach Helden und Schuldigen in Unternehmen jedoch großer Beliebtheit erfreut, packen wir den Bock – äh das Problem – bei den Hörnern und erörtern, weshalb insbesondere Führungskräfte häufig im Fadenkreuz mannigfaltiger Erwartungen stehen und zum Sündenbock deklariert werden. Anlass zu diesem Impuls lieferten die folgenden Zeilen, der jüngst publizierten Gallup-Studie, die in einer jährlichen repräsentativen Umfrage den Work Engagement Index bemisst. Der Work Engagement Index reflektiert das Ausmaß emotionaler Bindung deutscher Arbeitnehmer zu ihren Arbeitgebern. Spoiler Alarm: Besagter Index befindet sich auf dem niedrigsten Niveau seit 2010. Die Herausgeber der Gallup Studie schlussfolgern daher:

„Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen nicht nur die erlebte Führung auf den Prüfstand stellen, sondern auch aktiv an deren Qualität und Umsetzung im Arbeitsalltag arbeiten. Denn Menschen verlassen nicht das Unternehmen, für das sie arbeiten, sondern Vorgesetzte, unter denen sie arbeiten – und vor diesem Hintergrund gibt es für schlechte Führung keine Entschuldigung mehr.

Zugegebenermaßen ist dem Gedanken, erlebte Führung anzuzweifeln, einiges abzugewinnen. Denn wie sagte Enthoven einst so schön: „Das Gegenteil von Irrtum ist nicht Wahrheit. Das Gegenteil von Irrtum ist Zweifel.“

Zweifel als Navigationshilfe für den Verstand in komplexen Gefilden also. Und Zweifel sollte an dieser Stelle an der plakativ als Wahrheit formulieren Aussage laut werden, dass Menschen nicht das Unternehmen verlassen, für das sie arbeiten, sondern Vorgesetzte, unter denen sie arbeiten.

Denn das hieße im Umkehrschluss, dass das Problem im Menschen läge und ein Wechsel der Personalie die Lösung des Problems bedeuten würde. Mit Verlaub, wenn dies die Wahrheit wäre, wäre der HSV längst wieder erstklassig.

Aber was stattdessen? Bohren wir das Sündenbockphänomen auf. Zunächst aus psychologischer Perspektive:

Aus gruppendynamischen Beobachtungen konnte bisher abgeleitet werden, dass insbesondere in Krisenzeiten kollektive Angst, Sorge und Unsicherheit auf ein Opfer projiziert werden, das als Wurzel des Übels herhalten muss. Der Personifizierung des Übels haftet zudem der Gedanke an, dem Übel schnell Herr (oder auch Frau) zu werden. So wird der Sündenbock in die Wüste verbannt, die Hexe verbrannt und der Führungskraft die Mitgliedschaft aufgekündigt. Interessanterweise handelt es sich bei den unbewusst Auserkorenen um jene, die von der Norm abweichen. Man denke an die Hexenverfolgung. Oder eben an Führungskräfte in Unternehmen. Denn das Kollektiv in herkömmlich strukturierten Unternehmen ist nun mal nicht Führungskraft.

An dieser Stelle wird bereits deutlich: Die Personifizierung eines Problems stellt sehr wohl eine Lösung dar. Wohlgemerkt EINE. Eine Handlungsoption im Umgang mit Komplexität. Indem Personen nämlich als Problemursache aka Sündenbock deklariert werden, erübrigt sich die kritische Auseinandersetzung mit weiteren Problemdeterminanten.

Nun drängt sich eine weitere, die systemtheoretische Perspektive zur Scharfstellung der Thematik förmlich auf.

Um es mit den Worten des geschätzten Kollegen Benno Löfflers zu sagen: „Um Unternehmen zu verstehen, müssen wir uns die Menschen für einen kurzen Moment wegdenken.“ Klingt erstmal a(nti)sozial, ist aber sehr humanistisch.

Hierarchien haben in Unternehmen mehrere wichtige Funktionen. Eine ist beispielsweise den Fluss von Entscheidungen sicherzustellen. Das ist leicht verständlich. Werden in Unternehmen keine Entscheidungen mehr getroffen, stagnieren sie und gehen unter. Die Hierarchie regelt außerdem die Aufrechterhaltung systematischer Ungleichheit. DieFunktion dieser Ungleichheitist zum einen das Auflösen von Konflikten, bspw. wenn eine Entscheidung stagniert, um die Organisation weiter im Fluss zu halten oder eben die Zuweisung von Schuld. So trivial ist es eigentlich. Probleme brauchen eine Adresse. Zu Neudeutsch: Eine Eskalationsstufe. Damit an ihnen nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag herumlaboriert wird und das Fortbestehen des Unternehmens nicht gefährdet wird. In gewisser Hinsicht ist es also funktional, organisationale Probleme zu Personifizieren, im Ernstfall die Mitgliedschaft bestimmter Personalien aufzukündigen und auf „gut Wetter“ zu machen. Jetzt könnte man monieren, dass der Wechsel einer Personalie ja nicht das ursprüngliche Problem lösen muss. Genau. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, war Herr Piëch nicht der alleinige Schuldige im VW-Abgasskandal. Gehen musste er trotzdem. Gute Führung hin, schlechte Führung her. Ein Sündenbock wurde gefunden und das Fortbestehen des Konzerns gesichert. So unmoralisch ticken Systeme.

Welche Schlussfolgerungen können daraus für die derzeitig proklamierte Führungskrise gezogen werden?

In Zeiten erhöhter Unsicherheit (Corona- und Energiekrise) fungiert die Personifizierung von Problemen als einfaches Ventil bei der Problemannäherung. Eine tiefgreifende Auseinandersetzung unterbleibt jedoch und ist insofern problematisch, als dass die Menschen als Problemursache herangezogen werden – im vakuumierten Raum. Also losgelöst von institutionellen oder gesellschaftlichen Spielregeln (Verhältnissen), in denen sie sich bewegen.

„Wer Helden und Schuldige braucht, um eine Situation plausibel zu erklären, der hat die Situation nicht verstanden.“ Wie der geschätzte Kollege Dr. Gerhard Wohland zu sagen pflegt.

Im Bezug auf die Gallup Studie und die Situation vieler Führungskräfte in Deutschland lässt sich daher zusammenfassen, dass nicht die Führungskräfte, die Schuldigen sind. Diese verhalten sich höchstwahrscheinlich vernünftig. Vernünftig entsprechend der herrschenden Rahmenbedingungen ihres organisationalen Systems. Tritt schlechte Führung als kulturelles Artefakt, also gehäuftes Muster in Unternehmen auf, darf hinterfragt werden, welche organisationalen Spielregeln das provozieren. Bei Mensch-Ärger-Dich-Nicht gehört es ja auch dazu, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Ähnlich verhält es sich in einigen Unternehmen.

Und trotzdem bzw. gerade deswegen, sollte der Zweifel als guter Berater walten und hinterfragt werden, was schlechte Führung eigentlich bedeutet? Und die Kehrseite in Augenschein nehmend: Was ist mit wirksamer Führung überhaupt gemeint und in welchem Kontext? Was muss Führung leisten und was eben auch nicht? Wie lässt sich die eigene Führungsrolle ausgestalten und erfolgreiche Zusammenarbeit fördern?

Wir finden: Es ist Zeit für eine Entmystifizierung der Führungsthematik. Und vor allem ist es Zeit für ein Ende des Sündenbock-Spiels. Wenn du Antworten, kluge Zweifel und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Führung willst, dann ist es an der Zeit einen Kurswechsel in Sachen Leadership einzuleiten.

Die Möglichkeit dazu bietet sich dir im Kurswechsel LeaderShip Programm. Unaufgeregt und mit Fokus auf das Wesentliche kannst du nach dem Leadership Programm Führung gestalten, wo andere sich noch in Führungsstil-Diskussionen verlieren oder den Sündenbock in die Wüste jagen. A apropos Sündenbock: Was ist jetzt eigentlich mit Shaun Dorper? Fast vergessen. Der wechselt auch gerade den Kurs und ist froh, endlich nicht mehr der Sündenbock zu sein, sondern jemand, der Führung wirksam gestalten kann.

Wenn du beim Thema “LeaderShip Programm aufmerksam geworden bist, dann meld’ dich gern direkt bei uns: team@kurswechsel.jetzt

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