Kurs auf “New Work”: Worum es wirklich wirklich geht

Kurs auf New Work: Insel der Glückseligkeit oder Havarie für Organisationen?  

„Hildegard uns laufen die Leute weg!“ Der junge Personalchef hält vier Kündigungen in der Hand. Es ist mal wieder Monatsende. Der kleine Feind des Personalers. Tief über die Personalakte gebeugt, in der Hoffnung sich dem bevorstehenden unangenehmen Sermon des Personalchefs entziehen zu können, heftet Hildegard, das Urgestein der fiktiven Maschbau GmbH die Kündigungen ab. Ein bisschen Schwund ist immer, gell? Fakt ist, die Leute hauen in den Sack. Und es kommen keine Neuen nach. Hildegard kann das gar nicht nachvollziehen. Das Anspruchsdenken der jungen Leute … Der Personalchef hat auf Basis der durchgeführten Exitgespräche mittlerweile jedoch ein anderes Bild und die steile These, dass es so einfach nicht ist. Im Schnelldurchlauf sinniert er über die letzten Kündigungsgründe wie Unternehmenspolitik, Silo-Denken, Einzelkämpfertum, keine Weiterentwicklungsmöglichkeiten, das Arbeitsumfeld, die aufgeblähten Prozesse und zähen Entscheidungen, die jegliche Freude am Job nehmen, das Projektchaos und, und, und … Und wenn das nicht schon genug wäre, wirbt der innovativere Mitbewerber die besten Leute ab. So geht es jedenfalls nicht weiter. Es ist Zeit für etwas Neues! Es ist Zeit für NEW WORK! 

New Work mehr als nur ein Plastikwort? 

New Work. Was steckt dahinter? Alles neu, alles besser? Um nicht Gefahr zu laufen, von einem Plastikbegriff in die Irre geführt zu werden, dröseln wir das Wort auf. Um einen kurzen Abriss durch die Historie zu machen: Der Begriff New Work geht auf den US-amerikanischen Philosophen und Anthropologen Frithjof Bergmann zurück, der beim Automobilhersteller General Motors im US-amerikanischen Flint ein kniffliges Problem zu lösen hatte. Denn durch den steigenden Automatisierungsrad in der Automobilproduktion standen plötzlich unzählige Arbeitsplätze auf dem Spiel und damit nicht nur die Zukunft zahlreicher Familien, sondern auch der Wohlstand einer ganzen Region, die sich von der gravierenden Abhängigkeit zum größten lokalen Arbeitgeber nicht freisprechen konnte. Das bestehende Konzept der Lohnarbeit musste überdacht werden und genau dafür trat Bergmann an. Im neu gegründeten Zentrum für neue Arbeit gingen Bergmann und Kollegen drei Hauptfragen nach: 

  1. Welche Arbeitszeitmodelle lassen sich im Kontext Lohnarbeit etablieren (Stichwort Teilzeit)? 
  1. Was können Menschen mit ihrer freiwerdenden Zeit anfangen  (Stichwort Freizeit)?  
  1. Was bedeutet der technologische Fortschritt für die Arbeitswelt? 

Die weitreichende Auseinandersetzung mit diesen drei zentralen Fragestellungen und den gesammelten Erfahrungen am Automobilstandort Flint veranlassten Bergmann in den Folgejahren dazu, das Konzept Arbeit als gesamtgesellschaftliches Thema aufzugreifen. Insbesondere die Tatsache, dass Menschen aufgrund freiwerdender Zeit nun die Möglichkeit hatten, Dingen nachzugehen, die sie Bergmann zufolge „Wirklich, wirklich wollen.“, lud zu einem der größten Irrtümer in der Debatte rund um neue Arbeit ein – bis heute.  

Denn wird heute in Organisationen über die Bedeutung von New Work diskutiert, ist leider wenig übriggeblieben, von den klugen Gedanken, die Bergmann umtrieben. Stattdessen werden indifferente Scheininitiativen losgetreten, deren Fundament sich aus der irrtümlichen Annahme speist, Menschen müssten im Kontext der Lohnarbeit das finden, was sie „wirklich, wirklich wollen“. Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden: Dagegen ist auch erst einmal nichts einzuwenden. Initiativen zu flexiblen Arbeitszeitmodellen, moderner Arbeitsplatzgestaltung und Co sind gut gemeint und mit Sicherheit auch nicht direkt schädlich. Ausgeblendet wird jedoch der zentrale Aspekt, dass sich der originäre Ausspruch Bergmanns nicht auf den Kontext der Vollbeschäftigung bezog, sondern auf den Bereich der durch Teilzeitmodelle entstehenden „freien Zeit“. 

„Und? Wo liegt da jetzt das Problem?“ Fragt sich der junge Personalchef schulterzuckend, während er schon dabei ist, den Tagessatz eines New Work Beraters zu verhandeln. Eine gute Frage, die wir genauer unter die Lupe nehmen! 

Zwischen Glücksbewirtschaftung und Fluchtverhinderungssystemen 

Was in der Aufbruchslaune beim „Kurs auf New Work“ häufig vergessen wird, ist das Stellen einer zentralen Frage. Und diese Nachlässigkeit kann Organisationen teuer zu stehen kommen – so auch bei der Maschbau GmbH. Fragen wir den Personalchef heute 72 Tage, nachdem der New Work Berater zum letzten Mal einen Fuß auf das Werksgelände gesetzt hat, klingt das in etwa so: „Wir haben jetzt eine neue Vision der Zusammenarbeit, haben viel Zeit mit unserer Ausrichtung verbracht und coole Co-Working Spaces, aber das wars auch schon fast – ist eigentlich alles wie früher, nur etwas netter.“ Tadaaa: Hand aufs Herz! Hier wurde sich mehr oder weniger beschäftigt. Wieso beschäftigt? Weil die Initiative nicht zur Lösung eines konkreten Problems beigetragen hat. Etwas zynisch könnte man jetzt sagen, dass die Fluchtverhinderungssysteme der Maschbau GmbH schärfer gestellt wurden. Man wollte es den Menschen doch netter machen. Netter, weil doch eigentlich jeder weiß, dass die Arbeit an sich so lästig ist, dass man den Leuten eben anderweitig etwas bieten mussArbeit ist schließlich Schmerz und wer lacht, hat noch Reserven… Was also stattdessen? Die zentrale Frage und der Schlüssel zur Verschwendungsprävention wäre gewesen: „Für welche Problemkonstellation soll New Work die Lösung darstellen?“ Klingt trivial, eröffnet aber die Möglichkeit aus einer diffus daherkommenden Symptombeschreibung eine knackscharfe Problemanalyse einzuläuten. Will durch die Brille ganzheitlicher Organisationsberatung meinen: Welche Strukturen und Rahmenbedingungen provozieren die vorhandenen (störenden) Kommunikationsmuster und Verhaltensweisen? Wofür sind die vorherrschenden Konflikte die Lösung? Welche Rolle spielen Prozesse und Praktiken sowie Technologien beim Erbringen wert(e)voller Lösungen für den Markt. Schnell wird deutlich: Es geht nicht um die Entwicklung einer New Workigen Culture, es geht um Wertschöpfung und um den originären Zweck einer Organisation: Das Fortbestehen.   

Was Menschen wirklich, wirklich motiviert 

Dass es nicht um die Glücksbewirtschaftung der Leute gehen kann, hat der junge Personalchef nun auch einsehen müssen. Eine vertrackte Situation. Arbeit soll doch Spaß machen! Stimmt. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Ein Blick auf die seit mehreren Jahren durchgeführte Gallup-Studie zum Verhältnis von Arbeitnehmer:innen zur Arbeit lässt allerdings tief blicken: Über 80% der Befragten haben entweder keine oder nur eine geringe emotionale Bindung zu ihrer Arbeit. Um es mit Bergmanns Worten zu sagen: Ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung erlebt den eigenen Job wie eine milde Krankheit – quasi wie einen Schnupfen – nervt, aber man kommt durch. Um diese milde Krankheit pandemischen Ausmaßes zu verstehen, dürfen wir die arbeitspsychologische Brille aufsetzen und hinterfragen, was das Geheimnis menschlicher Motivation ist. Obwohl Menschen hochgradig individuell und komplex sind, konnten Deci und Ryan (1985) drei zentrale menschliche Bedürfnisse herausstellen, die intrinsische Motivation fördern.​ 

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  • Autonomie (Kontrollgefühl)​ 
  • Soziale Zugehörigkeit (Anschluss an andere Menschen haben)​ 
  • Sinnerleben bzw. Kompetenzgefühl (sich fähig fühlen)​ 

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Werden diese drei Grundbedürfnisse durch den Arbeitskontext gewährleistet und gefördert, haben Personen Spaß an der Tätigkeit selbst. Im Fachsprech reden wir dann von intrinsischer oder echter Motivation. Von extrinsischer Motivierung wird hingegen gesprochen, wenn die Motivation für eine Tätigkeit von außen gesteuert wird, indem bspw. Belohnung oder bei Nichterfüllung Strafe erfolgen. Dann geht es nicht mehr um die Tätigkeit selbst, sondern darum, um mit der Tätigkeit etwas zu erreichen oder zu vermeiden. Immer wenn eine „um … zu“ Logik besteht, erhärtet sich der Verdacht auf extrinsische Motivierung. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es immer Situationen extrinsischer Motivierung gibt und geben wird. Auch das ist für sich genommen, nicht automatisch toxisch. Wie so oft gilt das Prinzip: Die Dosis macht das Gift. Die Frage, die sich in jeder Organisation daher direkt nach der obig erwähnten Schlüsselfrage gestellt werden sollte, ist also folgende: „In welchem Ausmaß wird echte Motivation in unserer Organisation durch die herrschenden Rahmenbedingungen verhindert?“ Ja richtig gelesen. Motivation kann zwar nicht systematisch erzeugt, wohl aber systematisch verhindert werden. Durch klug aufgestellte Hypothesen und daraus abgeleiteten Experimenten über veränderte Rahmenbedingungen kann jedoch zumindest die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, intrinsische Motivation im Arbeitsumfeld wieder zuzulassen. Und übrigens, nichts motiviert so sehr, wie ein konkret gelöstes Problem, dafür braucht es keine Motivierung.  

Die Bedeutung von New Work für Organisationen  

Für Organisationen bedeutet dies in der Quintessenz vor allem eines: Ausmisten. Ausmisten von Praktiken, Prozessen, Programmen und Co, die es den Personen in den Organisationen erschweren, ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen. Bleibt noch die Frage, was dann von New Work eigentlich übrigbleibt? Sehr unromantisch ließe sich formulieren, dass neue Umwelten neues Arbeiten provozieren. Nimmt die Dynamik am Markt zu und steigt die Überraschungsdichte kontinuierlich an, ist der Untergang der traditionellen Pyramidenorganisation vorprogrammiert. Auch die Matrixorganisation wird an ihre Grenzen kommen. Bevor das aber geschieht, steigt der Frust und letztendlich folgt die Flucht aus dem organisationalen System. Um es mit Sprengers Worten zu sagen: Kluge Menschen hält es selten in dummen Organisationen. Zeit also, tradierte Muster aufzubrechen und Rahmenbedingungen für Potentialentfaltung entlang der Wertschöpfung zu schaffen. Auf zu neuen Ufern, Kurs auf New Work! 

 Shownotes

LinkedIn Alina Meyerdiercks

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